Ein Beitrag zur Debatte von unserer Generalsekretärin Petra Winkler
Nicht zum ersten Mal taucht das strittige Thema der „Leitkultur“ auf. „Leitkultur“ als Begriff wurde bereits 1996 durch den Politikwissenschaftler Bassam Tibi geprägt, in seinem Artikel „Multikultureller Werte-Relativismus und Werte-Verlust“. In seinem Buch Europa ohne Identität? Die Krise der multikulturellen Gesellschaft plädierte Tibi zwei Jahre später für eine „europäische Leitkultur“, die auf westlichen Werten basieren sollte.
Grundlegende Werte als eine Art Leitplanke oder Kompass
Diese Werte aus der Kultur der Demokratie, Aufklärung, Menschenrechte und Bürgergesellschaft müssten klaren Vorrang haben vor religiösen Normen und Vorstellungen oder auch vor diesem postmodernen Relativieren aller Werte. Aus Tibis Sicht wäre eine solche Leitkultur wichtig, weil sie für Einwanderer identitätsstiftend wirkt, weil damit auch eine verbindende Klammer gebildet wird zwischen Deutschen und Migranten. Zu den zentralen Punkten des Wertekonsens gehören:
- Vernunft hat Vorrang vor religiösen Normen
- Demokratie braucht die Trennung von Religion und Politik
- Pluralismus braucht es ebenso wie Toleranz
Gemeinsame Werte für eine Einwanderungsgesellschaft
Tibi zielte damit auf einen auf gemeinsamen Werten basierenden Kulturpluralismus, im Gegensatz zum „Multikulti“ das statt zu einem Miteinander zu einem Nebeneinander von Parallelgesellschaften führt. Ebenso wichtig war für Tibi zwischen einer gesteuerten und geregelten Einwanderung und einer ungeregelten Zuwanderung zu unterscheiden. Tibi erhoffte sich ebenso, dass sich auf Basis dieser europäischen Leitkultur ein moderater und toleranter Euro-Islam entwickeln könnte.
Tibis Gedanken wurden von verschiedenen konservativen Politikern aufgegriffen und diskutiert. Vor allem aber aus rot-grünen Kreisen geriet die Forderung nach einer Leitkultur schnell unter Beschuss und fiel während der Regierung Schröder/Fischer schnell wieder unter den Tisch. Auch unter Merkels Regierungszeit wurde Einwanderern keine Integrationsleistungen abverlangt. Alles werde sich schon irgendwie von alleine regeln, so die unerfüllt gebliebene Hoffnung.
Ohne gemeinsame Werte fällt eine Gesellschaft auseinander
Dieser fehlende Integrations-Anspruch der vergangenen Jahrzehnte hat aber nicht dazu geführt, dass sich irgendwas irgendwie zusammengefügt hätte. Spätestens mit den Terrorangriffen seit 2015 in Deutschland, Frankreich oder Belgien ist diese Illusion für jeden unvoreingenommen denkenden Menschen geplatzt. Aber diese Angriffe wurden von Politik und Medien stets beschwichtigend als „Einzelfälle“ abgewiegelt. Spätestens seit dem 7. Oktober sollte jedoch jedem blauäugig-naiven Multikulti-Gläubigen klar sein, dass wir in unserer grenzenlosen Toleranz und Multikulti-Verklärtheit die Intoleranz einer Monokultur haben gedeihen lassen. Die Pro-Palästina-Aufmärsche mit einer von links-akademischen Kreisen und von BDS-Sympathisanten unterstützten Täter-Opfer-Umkehr sind beispiellos dreist und offenbaren nun ganz unverfroren deren Antisemitismus.
Wir müssen reden!
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig und unerlässlich, die Debatte über eine europäische Leitkultur wieder aufleben zu lassen. Wir müssen darüber reden! Denn: Was soll daran verwerflich sein? Wer in ein Mehrfamilienhaus zieht, akzeptiert damit eine Haus- und Gemeinschaftsordnung – in dieser sind vor allem die Selbstverständlichkeiten gegenseitiger Rücksichtnahme (wie zum Beispiel die Ruhezeiten oder die Hinweise, dass Flure und Kellerräume nicht vollgestellt oder zugemüllt werden) in Form von Regeln formuliert, die für alle gleichermaßen gültig sind.
Statt Vorschriften: Kompass für ein Miteinander
Was in der aktuellen Debatte auch wieder deutlich wird: Die Gegner einer Leitkulturdebatte sind vor allem politisch motiviert und versuchen daher die Debatte zu vergiften, statt diese zu führen. Es geht doch gar nicht darum, dass sich (quasi als Vorschrift) Agnostiker, Buddhisten oder Muslime gefälligst einen Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer stellen müssen. Nein, das ist bestimmt nicht der Sinn einer Leitkultur.
Einer Leitkultur zu folgen ist keine Aufforderung sämtliche Bräuche und Traditionen mitzumachen, sondern es ist eher die Aufforderung, die aus der Renaissance, dem Humanismus, der Aufklärung gewachsenen europäischen Werte zu respektieren, zu tolerieren – und nicht dagegen zu agieren!
Respekt auch für die Mehrheitsgesellschaft
Es geht um ein gutes gesellschaftliches Miteinander. Toleranz als Einbahnstraße der Mehrheitsgesellschaft, während Minderheiten in ihren Ansichten radikaler und intoleranter werden und meinen, ihre Werte müssten von der Mehrheit übernommen werden, ist erkennbar gescheitert.
In diesem Sinne gehe ich heute Abend ans Schmücken des Weihnachtsbaums und freue mich auf die Festtage. Aber auch all denjenigen, die mit Weihnachten nichts am Hut haben, wünsche ich eine gute Zeit und hoffe fürs nächste Jahr, dass Minderheiten sich nicht wie Mehrheiten aufführen und sich stattdessen mehr in gegenseitigem (!) Respekt und gegenseitiger (!) Rücksichtnahme üben.